Dokumentationsbroschüre Januar 2021
Inhalt
- Vorwort
- Dokumentation rechtsextremer Ereignisse
- Aktive rechtsextreme Strukturen
- „Der III. Weg“
- “Junge Nationalisten” (JN) und NPD
- “schuelersprecher.info”
- „Identitäre Bewegung“ (IB)
- „Junge Revolution“
- Lok Hooligans
- Handlungsmöglichkeiten
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Dokumentationsbroschüre rechtsextremer Ereignisse und Strukturen in Leipzig-Stötteritz Stand: Januar 2021 (PDF, 15MB)
1. Vorwort
Liebe Stötteritzer*in,
diese Broschüre wurde im Februar 2021 von Bewohner*innen des Stadtteils verfasst. Wir waren in den vergangenen Jahren auf unterschiedliche Arten von neonazistischer Gewalt, Einschüchterungen und dem Gefühl einer bedrohlichen Entwicklung im Stadtteil betroffen. Gemeinsam haben wir uns zu einer Initative zusammengeschlossen, die auf die Umtriebe der Neonazis in unserem schönen Viertel aufmerksam macht. Wir sind Schüler*innen, Student*innen, Arbeiter*innen und in Rente.
Wir werden weder die massive neonazistische Propaganda in Form von Schmierereien, Aufklebern und Hitlergrüßen noch die Gewalttaten und Bedrohungen unwidersprochen lassen.
Solange diese ignoriert werden oder unwidersprochen bleiben, können diese Feinde einer freien Gesellschaft sich immer weiter ausbreiten. Es ist wichtig, dass wir alle ihre Symbole und Botschaften erkennen, um ihnen konsequent etwas entgegensetzen zu können.
Nicht nur in unserer Wahrnehmung und unserem Erleben gab es eine Zunahme der rechten Aktivitäten: Die Sichtbarkeit von rechtsextremer, menschen- und gruppenfeindlicher Propaganda hat in Stötteritz in den Jahren 2019 und 2020 zugenommen. Diskriminierende Aufkleber und Nazischmierereien sind immer häufiger im öffentlichen Raum wahrnehmbar. Zuletzt berichtete auch MDR Exakt über diese Problematik. [1]
Rechte Raumergreifung
Wie es schon in dem erwähnten MDR-Bericht heißt, sind Schmierereien, Aufkleber und Graffitis mit faschistischem oder (neo-)nationalsozialistischem Inhalt keine Banalitäten. Es sind Raumergreifungsstrategien. Solche (politischen) Strategien sollen – ganz allgemein – einen Raum schaffen, in dem ein bestimmtes (ideologisches) Gedankengut eine Hegemonie herzustellen vermag. In solchen Räumen, in unserem Fall dem Leipziger Stadtteil Stötteritz, soll eine (neo-)nationalsozialistische Ideologie als allgemein und damit als selbstverständlich in der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Die Öffentlichkeit wird derart umgestaltet, dass eine (neo-)nationalsozialistische Gruppe ihre Handlungsstärke demonstrieren kann. Es beginnt mit Schmierereien, Aufkleber und Graffitis, aber je mehr diese zum gewöhnlichen Stadtteilbild gehören, und damit geduldet werden, um so mehr fühlen sich (Neo-)Nazis in ihrer Umgebung akzeptiert. Sie sehen sich ermuntert und legitimiert, ihre menschenverachtende Ideologie in örtlichen Vereinen, Initiativen und Bildungseinrichtungen zu verbreiten. Die Zivilgesellschaft wird auf diese Weise eingeschüchtert. Das zeigt sich auch daran, dass Aufkleber nicht wahllos verklebt werden, sondern gezielt in der Nähe von Menschen, die laut menschenverachtender Ideologie als „Feind“ deklariert werden. Ist eine Hegemonie einer solchen Ideologie etabliert, erscheinen gewalttätige Übergriffe auf Menschen, die nicht in diese Ideologie passen, als von der Allgemeinheit gerechtfertigt. Es bleibt also nicht nur bei „banalen“ Schmierereien, Aufklebern und Graffitis. Es wird ein Machtanspruch etabliert, aus dem heraus bereits in der Vergangenheit Gewalttaten gegenüber Menschen aus unserer Nachbarschaft verübt wurden, die nicht in das faschistische, (neo-)nationalsozialistische Weltbild passen, das durch die Schmierereien, Aufkleber und Graffitis transportiert und reproduziert wird.
Inhalt dieser Broschüre
Aber welche Gruppierungen sind im Viertel unterwegs? Und was steckt beispielsweise hinter dem harmlos klingenden Projekt “schuelersprecher.info”?
Diese Broschüre gibt einen Überblick über die verschiedenen Organisationen, deren Aufkleber, Sympathisant*innen und Aktivist*innen in Stötteritz immer wieder sichtbar werden. Von der “Identitären Bewegung” über den “III. Weg” bis hin zur Jugendorganisation der “NPD”. Dabei sollen auch folgende Fragen geklärt werden: Was sind deren Ziele? Worin bestehen die hauptsächlichen Aktionsfelder? Welche Symbole nutzen sie?
Diese Zusammenstellung rechter Umtriebe im Viertel wurde von Personen verfasst, die sich im Laufe des vergangenen Jahres zusammengefunden haben, um mit Aufklärung den rechten Umtrieben etwas entgegenzusetzen.
2. Dokumentation rechtsextremer Ereignisse
Im Folgenden sollen exemplarisch ausgewählte Ereignisse aus den Jahren 2019 und 2020 vorgestellt werden. Diese Ereignisse sind der Dokumentationsplattform chronik.LE entnommen. [2] Das Dokumentationsprojekt führt für das Jahr 2020 insgesamt 19 rechtsmotivierte Ereignisse auf.
28. Juni 2019 – Neonazistische Propaganda in Stötteritz angebracht
In Stötteritz werden in mehreren Straßen neonazistische Sticker angebracht. Diese sind u.a. von der NPD Mecklenburg-Vorpommern und dem “Antikapitalistischen Kollektiv” (Aufschrift: “NS Area”). Weiterhin werden an Häuserwände und Laternen der Schriftzug “White Power”, ein Keltenkreuz sowie der neonazistische Zahlencode 88 gesprüht. Letzterer bezieht sich auf den jeweils achten Buchstaben im Alphabet und steht somit für die Parole “Heil Hitler”.
1. Juli 2019 – Rassistische Anfeindung in Stötteritz
Eine Gruppe älterer Männer ruft gegen 20.30 Uhr rassistische Parolen in Richtung einer Gruppe Jugendlicher. Diese steigen in eine Bahn ein. Die älteren Männer erklären danach einer vorbei laufenden Passantin ungefragt, dass sie hier gerade aufgeräumt hätten. Ihrer Meinung nach wollen diese “dreckigen N* und Neubürger ja nur gute deutsche Mädchen unter Drogen setzen und vergewaltigen.” Als die Passantin erwidert, dass sie solche Parolen nicht hören möchte, wird sie als “Hippie-” und “Antifa-Schlampe” beleidigt.
13. Januar 2020 – Rechte Sticker am Weißeplatz
Auf einer Bank am Weißeplatz werden mehrere rechte Sticker angebracht. Einer von ihnen ist im Stil von “Fridays for Future” gehalten, allerdings wirbt der abgewandelte Text für “Fridays for Schule”. Auf einem anderen Sticker werden politisch Andersdenkende als “Gutmenschen” bezeichnet und ihnen symbolisch der Mittelfinger gezeigt. Ein drittes Motiv wirbt schließlich für Heimat – und behauptet diese sei auch Frauensache.
17. Februar 2020 – Identitären-Sticker in Ludolf-Colditz-Straße verklebt
In der Ludolf-Colditz-Straße werden an mehreren Schildern und Laternen Aufkleber der “Identitären Bewegung” angebracht. Auf diesen ist z.B. “0% Rassismus. 100% Identität” zu lesen. Damit wollen sich die Identitären gegen den Vorwurf des Rassismus wehren. Dabei stellt der Ethnopluralismus als vermeintlich theoretisches Grundgebilde der Identitären lediglich eine Modernisierung der Rassentheorie dar.
16. April 2020 – “Ein Prozent”-Flyer verteilt
In Stötteritz werden rings um den Weißeplatz Flyer der rechten Initiative “Ein Prozent” verteilt. Diese werben für eine Broschüre mit dem Titel “Asylfakten. Wer kommt, der bleibt”. Die wesentlichen Aussagen sind allerdings auch schon im Flyer enthalten: Mit vermeintlich objektiven Zahlen wird versucht, das Grundrecht auf Asyl zu diskreditieren. Asylsuchenden wird unterstellt, kriminell zu sein und dem deutschen Sozialsystem zur Last zu fallen.
“Ein Prozent” bezeichnet sich selbst als “Deutschlands größtes patriotisches Bürgernetzwerk”. Über das Projekt wird in professioneller Aufmachung Stimmung gegen politische Gegner*innen, als nicht-deutsch wahrgenommene Personen und das Asylsystem gemacht. Weiterhin werden verschiedene rechte Projekte finanziert.
Die Mitglieder des Vereins sind meist auch bei der “Identitären Bewegung” aktiv. Gegründet wurde “Ein Prozent” 2015 vom rechten Verleger Götz Kubitschek und dem Herausgeber der verschwörungsideologischen Zeitschrift “Compact” Jürgen Elsässer. Der Name “Ein Prozent” leitet sich aus einer These ab, der zufolge ein Prozent der “Deutschen” ausreiche, um die Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Mit “Deutsche” ist jedoch nicht, die in Deutschland lebende Bevölkerung gemeint, sondern ein völkisch hergeleitetes “Volk”, dass über Herkunft und Kultur definiert wird. Ziel ist die Erschaffung einer ethnisch und kulturell homogenen Bevölkerung.
25. April 2020 – Neonazistische Graffiti in Stötteritz angebracht
An mehrere Stellen in Stötteritz (u.a. Papiermühlstraße, Stötteritzer Straße, Holsteinstraße, Arnoldstraße, Glafeystraße) werden eine Vielzahl neonazistischer Schmierereien angebracht. So steht an einer Haltestelle u.a. “Zecken jagen” und “NS jetzt”. Es wird ebenfalls der Zahlencode “88” angebracht, der für “Heil Hitler” steht. Tags darauf werden im benachbarten Stadtteil Reudnitz zahlreiche neonazistische Graffiti angebracht.
In den nachfolgenden Tagen finden sich im Stadtviertel weiterhin zahlreiche neonazistische Sticker (u.a. “Der III. Weg”).
26. April 2020 – Neonazistischer Angriff in Stötteritz
Bei dem Versuch, die neonazistischen Schmierereien im Stadtteil Stötteritz mit Plakaten zu überkleben, werden zwei Personen von einem Neonazi angegriffen. Der Angriff ereignet sich gegen 13:30 Uhr auf der Papiermühlstraße. Der Angreifer beleidigt beide Personen, reißt die angebrachten Plakate ab und versucht daraufhin, eine der Personen zu schlagen. Der Angreifer entfernt sich, nachdem zwei couragierte Passant*innen zur Hilfe eilen. Kurz darauf beobachtet eine der Passant*innen, dass der Angreifer gemeinsam mit anderen Neonazis versucht, die beiden angegriffenen Personen ausfindig zu machen. Diese können den Schauplatz jedoch rechtzeitig verlassen.
30. Mai 2020 – Neonazis attackieren Wohnhaus
Über einen längeren Zeitraum zieht eine Gruppe von etwa fünf Neonazis durch die Straßen von Stötteritz. Dabei skandieren sie lauthals Parolen wie “Bambule, Randale, Rechtsradikale!”. Als aus einem Haus heraus widersprochen wird, greifen sie dieses an. Den Bewohnern drohen sie damit, sie zu “zerficken” und sie zu töten.
Zwei von ihnen treten die Türe ein und randalieren im Treppenhaus. Dabei zerstören die Neonazis die Briefkästen des Hauses und machen Anstalten, zu den Wohnungen vorzudringen. Im Treppenhaus machen sie kehrt und verlassen das Haus.
6. Juni 2020 – Neonazis am Weißeplatz feinden Personen an
Auf dem Stötteritzer Weißeplatz feinden Neonazis mehrere Personen an. Einer der Männer trägt ein T-Shirt, auf dem “White Power 100% racial” steht. Vorbeilaufende Personen werden mit dem Ausdruck “Scheiß Zecken” aggressiv bepöbelt. Die Gruppe grölt lautstark herum und ist mehrere Straßen weit zu hören.
9. Juli 2020 – Auto in Stötteritz beschmiert
In der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag wird ein in Stötteritz geparktes Auto großflächig auf einer Seite in schwarz-weiß-roter Farbe beschmiert. Da lediglich das eine Auto beschmiert wurde und keine anderen, ist von einem gezielten Anschlag auszugehen.
27. Juli 2020 – Rassistische Anfeindung in Stötteritz
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite eines Supermarkts in der Papiermühlstraße wird eine PoC von einem Neonazi rassistisch beleidigt. Der Neonazi, der mit einer Frau unterwegs war, biegt anschließend auf die Eichstädtstraße ab und entfernt sich. Der Begriff “People of Color” (PoC) ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren.
11. Oktober 2020 – Identitären-Sticker in Stötteritz verklebt
In Stötteritz werden zahlreiche Sticker der “Identitären Bewegung” verklebt. Hauptsächlich werden diese in der Schönbach- und Melscherstraße sowie im Stötteritzer Wäldchen angebracht.
18. November 2020 – Neonazi mit Kampfhund drangsaliert Person
Ein sichtbar der Neonaziszene zuzuordnender Mann fährt mit einer Frau und einem Kampfhund in der Tramlinie 4 nach Stötteritz. Noch in der Tram fängt er an eine ihm offenbar missliebige Person zu bepöbeln und zu bedrohen, da diese seinen Hund angestarrt habe. Neben dem Ausspruch “Ey, guck meinen Hund nicht so an” beschwert er sich darüber, dass es in Deutschland nur noch “Lappen” gäbe. Anschließend kippt er Bier über die Person und verfehlt deren Kopf nur knapp, als er mit der Bierdose nach ihrem Kopf wirft.
15. Januar 2021 – Großflächig JN-Sticker in Stötteritz verklebt
Entlang der Papiermühlstraße und in den umliegenden Straßen werden in großem Ausmaß Sticker der “Jungen Nationalisten” (JN), der Jugendorganisation der NPD, verteilt. Teilweise zeigen die Sticker lediglich das JN-Logo und verweisen auf die Internetpräsenz. Auf anderen Stickern wird die Feindlichkeit gegenüber Transpersonen mit der Verhöhnung der von den Nationalsozialist*innen im KZ Bergen-Belsen ermordeten Anne Frank kombiniert.
2. Februar 2021 – Hakenkreuze und Lok-Schriftzug in Stötteritz
An die Wand eines Hauses in der Ferdinand-Jost-Straße werden zwei Hakenkreuze gemalt. Ein Hakenkreuz überdeckt zudem einen “BSG”-Schriftzug, welcher zu einem früheren Zeitupunkt über einen “Lok”-Schriftzug gesprüht wurde. BSG ist die Abkürzung für den lokalen Fußballregionalligisten BSG Chemie Leipzig, LOK steht für den Lokalrivalen Lokomotive Leipzig. Zweiter ist bekannt für seine neonazistische Fanszene. Eine Überschneidung von rechten Stickern und dem Bekenntnis zu LOK sind häufig zu beobachten. Über dem aktuellen Hakenkreuz steht Lok geschrieben. Die Hakenkreuze werden kurz darauf übersprüht.
13. Februar 2021 – JN-Flyer in Stötteritz verteilt
Rund um die Stötteritzer Rudolph-Herrmann-Straße sowie die Kommandant-Prendel-Allee werden Flyer der “Jungen Nationalisten” (JN) verteilt. Auf den Flyern wird der Neonaziaufmarsch am 13. Feburar in Dresden beworben. Zwei Tage zuvor, am 11. Februar, fand ebenfalls eine Sticker-Aktion der JN in der Nähe des unweit gelegenen Völkerschlachtdenkmals sowie am Lene-Voigt-Park statt.
24. Februar 2021 – Hitlergruß in Stötteritz
Mittwochvormittag steht ein 32-Jähriger auf seinem Balkon in der Oberen Eichstättstraße. Weil aus seiner Wohnung “unzulässiger Lärm” gemeldet worden war, sind Mitarbeiter*innen des Ordnungsamtes auf dem Weg zu ihm. Im Anblick dieser streckt er mehrfach seinen rechten Arm und tätigt den nationalsozialistischen Gruß. Gegen den Mann wird wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Bedrohung und Beleidigung ermittelt.
3. Aktive rechtsextreme Strukturen
In Stötteritz sind unterschiedliche Gruppierungen aktiv. Die einzelnen Organisationen vereint ein rassistisches, völkisches und nationalistisches Weltbild. Präsent ist zudem ein striktes Freund-Feind-Denken mit klaren Feindbildern. Trotzdem nehmen die Gruppierungen innerhalb der rechten Szene unterschiedliche Rollen und ideologische Positionen ein. Daher unterscheiden sich auch Aufmachung und Inhalte der verwendeten Sticker, Flyer oder Schmierereien. Im folgenden sollen die wesentlichen Gruppen vorgestellt werden. Ergänzt werden diese Hintergrundinformationen mit fotografischen Abbildungen, die in Stötteritz entstanden sind und der jeweiligen Gruppe zugeschrieben werden können.
3.1 “Der III. Weg”
“Der III. Weg” ist eine 2013 gegründete Kleinpartei, an deren Entstehen ehemalige Funktionäre der NPD sowie Aktivisten des seit 2014 verbotenen “Freien Netz Süd” (dem damals größten neonazistischen Dachverband neonazistischer freier Kameradschaften) beteiligt waren. Sie verfügt über 20 regionale “Stützpunkte” und konnte bisher mit jeweils einem Sitz in den Kreistag im Vogtland und in den Stadtrat in Plauen einziehen. [3, 4, 5, 6]
“Der III. Weg” benennt als Grundproblem der Gesellschaft den globalen Kapitalismus und problematisiert dabei vor allem die Degradierung des Menschen dazu, für Reiche Vermögen zu schaffen. Als Lösung für wirtschaftliche, politische und kulturelle Probleme wird eine vermeintlich natürlich-biologistisch gewachsene und daher an sich funktionierende Volksgemeinschaft argumentiert. Angestrebtes Ziel der Partei ist letzlich ein sogenannter “Deutscher Sozialismus”. Aus ihrer völkisch, nationalsozialistischen Programmatik heraus agitiert “Der III. Weg” rassistisch, antisemitisch, homofeindlich, und geschichtsrevisionistisch. Praktisch versucht sich “Der III. Weg” als “Kümmererpartei” darzustellen. Teilweise werden Volksküchen, Kleiderausgaben o.Ä. organisiert, die Teil der Bildung einer Gemeinschaft seien, jedoch nur denen zugänglich sind, die die Aktivisten zu ihrer “Volksgemeinschaft” zählen. Eine besondere Rolle spielt für die Partei außerdem der Kampfsport, dem sich insbesondere die AG “Körper & Geist” widmet. Sport wird hier zur Verbreitung ihrer völkischen Ideale genutzt und stark stilisiert, was vor allem auf Jugendliche anziehend wirkt.
3.2 “Junge Nationalisten” (JN) und NPD
Die “JN” wurde 1969 als offizielle Jugendorganisation der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) gegründet und ist laut Satzung “integraler Bestandteil” der Partei. Damals noch unter dem Namen “Junge Nationaldemokraten” entstanden, benannte sich die Organisation 2018 in “Junge Nationalisten” um und verlegte ihren Sitz in das sächsische Riesa. Hintergrund der Umbenennung war ein angestrebtes deutlicheres Bekenntnis zum Nationalismus. Ziel der JN ist vor allem die Verbreitung nationalistischer und völkischer Positionen, wobei Jugendliche und Erstwähler ihre Zielgruppe darstellen. Laut eigenem Selbstverständnis wollen die “Jungen Nationalisten” im Gegensatz zur Mutterpartei, die sich als parlamentarischer Arm der “nationalen Opposition” versteht, eher im “vorpolitischen Raum” tätig werden und widmen sich u.a. der ideologischen Schulung ihrer Mitglieder. In den vergangenen Jahren hatte die JN mit rückläufigen Mitgliederzahlen, alternden Mitgliedern und Verlust an Strahlkraft zu kämpfen. Seit einiger Zeit versucht sie sich im Raum Leipzig und im Landkreis Leipzig mit Schwerpunkt auf Wurzen und Eilenburg mit Kampagnen (bspw. schuelersprecher.info) und öffentlichkeitswirksamen Aktionen (siehe “Junge Revolution”) hervorzutun.
In Stötteritz sowie im benachbarten Reudnitz sind regelmäßig mehrere Mitglieder der “Jungen Nationalisten” aktiv. Äußerlich inszenieren sie sich teilweise als “Skinhead”. Verbreitet werden hauptsächlich Aufkleber sowie großflächige Schmierereien. Für eine geschichtsrevisionistische NPD-Demonstration am 13. Februar 2021 in Dresden wurden in Stötteritz und Umgebung Flyer in Briefkästen verteilt sowie Sticker verklebt. Betroffen waren u.a. die Kommandant-Prendel-Allee, die Rudolph-Herrmann-Straße, die Umgebung um das Völkerschlachtdenkmal sowie der Lene-Voigt-Park in Reudnitz. Die Demonstration selbst wurde von der Gruppe auch geschlossen besucht.
3.3 “schuelersprecher.info”
Seit 2018 gibt es aus dem Umfeld der “Jungen Nationalisten” (JN) Bestrebungen verstärkt an Schulen neonazistische Propaganda zu betreiben. Die bisher wenig beachtete Kampagne “schuelersprecher.info” orientiert sich dabei stark an der Strategie, Schüler*innen über Musik zu erreichen, wie es in den 2000ern mit der sogenannten “Schulhof-CD” verbreitet war.
Die Macher*innen der Kampagne versuchen sich dabei einen modernen Anstrich zu verpassen und stellen ihre Schülersprecher-Musiksammlung als mp.3-download auf ihrer Website bereit. Außerdem verfügen sie über social-media-Konten bei Twitter und Instagram.
Bundesweit finden sich kaum Aktivist*innen, die daran mitwirken. Aktionsschwerpunkte waren bisland in Hessen, dem Rhein-Main-Gebiet, Sachsen sowie Durchreiseorten der Nationalist*innen zu beobachten. In Leipzig klebte die vermutlich eher zu Aktionen zusammenkommende Gruppierung, der auch altbekannte Semester aus den lokalen JN-Strukturen angehören, mehrmals Plakate mit Bezugnahme auf das nationalsozialistische Konstrukt eines Volkskörpers.
Zudem hängten sie ein Transparent von einer Brücke in Wahren und überklebten Schilder von Schulen des Netzwerks “Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage”. Im Juli 2020 posierte eine Handvoll Aktivist*innen mit Spruchband vor mehreren Leipziger Schulen sowie der universitätsnahen Moritzbastei. Ende September 2020 verteilten Neonazis Flyer der Kampagne in Wurzen an zwei Schulen sowie der Innenstadt.
3.4 “Identitäre Bewegung” (IB)
Die selbsternannte “Identitäre Bewegung” (IB) kommt ursprünglich aus Frankreich und ist seit 2012 auch in Deutschland vertreten. Ihre Ideologie begründet sich im sogenannten “Ethnopluralismus”. Diese kulturrassistische Argumentation geht davon aus, dass es unterscheidbare und homogene Kulturkreise gäbe, die durch Migration bedroht seien. Die IB tritt betont jugendlich und popkulturell auf, ihre rassistischen und islamfeindlichen Positionen werden dabei aktionistisch verpackt. Sie treten außerdem besonders im Internet in Erscheinung. Protagonisten der IB riefen bspw. das Youtube-Format “Laut Gedacht” ins Leben, bei dem sie tagesaktuell politische Ereignisse beleuchten wollen, sich letztlich allerdings meistens ihre plumpe rassistische Ideologie offenbart. Viel Aufmerksamkeit erregte auch ihr gescheitertes “Leuchtturmprojekt Flamberg” in Halle/Saale. Das Haus in der Nähe der örtlichen Universität wurde 2016 von einem hessischen AfD-Landtagsabgeordneten erworben, sollte die Arbeit des rechten Spektrums verstetigen und darüber hinaus Wirkung entfalten. Zahlreiche Proteste, Aktionen und Nachbarschaftsvernetzungen erzeugten einen politischen Druck, der zum Scheitern des Projekts führte. Auch medial fanden die verzweifelt um Provokation bemühten Aktionen in den vergangen beiden Jahren weniger Widerhall. Die IB-Aktivistinnen des eigentlich antifeministischen Projekts “120 Dezibel” stellten ihre Aktivitäten ein, als sie sich mit dem Sexismus der IB-Männer konfrontiert sahen.
Das Scheitern der IB drückt sich auch in den Durchhalteparolen auf ihren Stickern aus. So war in Stötteritz schon häufiger ein IB-Sticker mit dem Aufdruck “Never stop Activism” (“Hört nie mit (dem) Aktivismus auf”) zu sehen.
Die einzig bedeutsamen Leipziger Kader Alexander “Malenki” Kleine und Christian Müller halten sich häufiger in Stötteritz auf. Müller versucht mit (Lok-)Graffitis, Stickern und Fotoshootings in Stötteritz sein Kleiderlabel “0341” bzw. “Der Osten regelt” zu bewerben. Außerdem wohnen einige seiner Nazi-Hooligan-Freunde im Stadtteil. Er wurde vom Verein Lok Leipzig für seinen Versuch, das Label über dort aufgenommene Fotos mit dem Verein zu verknüpfen, mit rechtlichen Konsequenzen konfrontiert. Auch Alexander Kleine, der mit seiner auch in der IB aktiven Freundin an der Prager Straße wohnt, versucht Profit aus seinem früheren Aktivismus zu schlagen. Mit seiner “Tannwald Media UG” bietet er Mediendienstleistungen für Akteure der extremen Rechten an. So produzierten Müller und Kleine unter dem Label der “Tannwald Media UG” ein Werbevideo für “Phalanx Europa”, dem Kleiderlabel und Online-Shop der “Identitären Bewegung” in der Schönbachstraße (siehe Abbildung 08.07.2020 Schönbachstraße). Betreiber des Labels war ab 2019 u.a. Torsten Görke aus Halle, ein ehemaliger JN-Aktivist und späterer IB-Kader. Seine Firma “Kontur & Farbe – Görke UG” nutzt als Geschäftsadresse die gleiche Adresse wie das Impressum des “0341”-Online-Shops.
3.5 “Junge Revolution”
Die Gruppierung „Junge Revolution“ versteht sich selbst als ein “Medienprojekt” von “Jungen Nationalisten”. Auf dem gleichnamigen Youtube-Kanal finden sich seit August 2019 Interviews mit verschiedenen, meist szene-prominenten Personen. Gesicht des Kanals ist laut Belltower-News ein junger Neonazi aus Zwickau, der zunächst für den “Dritten Weg” aktiv war und sich nun im Umfeld der NPD und ihrer Jugendorganisation zu bewegen scheint. Im März 2020 sollte im Vogtland ein Vernetzungskongress des Projekts stattfinden, u.a. mit Beteiligung von NPD und “Die Rechte”. Dieser “Revolutionäre Kongress” fiel jedoch aus. In Leipzig lassen Personen der “Jungen Revoultion” ein Spruchband vom Dach des Grünauer-Allee-Centers hinab und filmen sich dabei. Im gesamten Stadtgebiet und darüber hinaus sind immer wieder Sticker mit der Aufschrift “Nazis, Sex, Leipzig”, unterschrieben mit Junge Revoultion, zu sehen.
3.6 Lok Hooligans
Um den Fußballverein Lokomotive Leipzig sammeln sich verschiedene rechtsextreme Fangruppen. Einige Akteure dieser Gruppen sind auch in Stötteritz aktiv. Eine auffällig präsente Gruppe trägt den Namen “Banda Resoluta”.
Unter der Bezeichnung “Banda Resoluta” sammelt sich der (Nazi-)Hooligannachwuchs der Fanszene des 1. FC Lokomotive Leipzig. Der Name ist vermutlich eine Entlehnung aus dem Italienischen, bezieht sich positiv auf die dortige (rechte) Ultrakultur und soll übersetzt wohl etwas wie “resolute” oder “entschlossene Bande” bedeuten. Bekannte Neonazis wie Benjamin Brinsa oder Fabian Nebe beziehen sich häufig auf die faschistische Fangruppierung “Irreducible” von Lazio Rom und unternehmen Reisen dorthin. Abseits des Fußballgeschehens und der in Hooligankreisen verbreiteten “Ackermatches” (organisierten Schlägereien an abgelegen Orten wie Waldstücke oder Felder) versuchen die Mitglieder der “Banda Resoluta” über eigenen Merchandise wie Schlüsselanhänger oder Sticker ihre Gruppenidentität zu stärken. Ihre Verbindungen reichen in Hooligan- und Neonazistrukturen anderer Bundesländer. Fotos zeigen den als zentrale Figur der “Banda Resoluta” geltenden Nils Sommerlatta mit Mitgliedern des “Jungsturms Erfurt”, gegen die kürzlich nach §129 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wurde. Im Februar 2021 stufte das Landgericht Gera die Gruppierung auch als kriminelle Vereinigung ein. Die Angeklagten wurden zu Haftstrafen bzw. Jugendstrafe (ausgesetzt auf Bewährung) verurteilt. [7] Mitglieder des “Jungsturms Erfurt” wiederum nahmen an Trainings des neonazistischen Hooliganfightteams “Imperium Fight Team” (IFT) in Leipzig Teil. Mitglieder von “Banda Resoluta” posieren außerdem für die Kleiderlabel “0341” und “Heimatliebend”. Das letztgenannte Label stammt aus dem Umfeld des IFT und wirbt mit dem Slogan “Tradition – Loyalität – Identität”.
Die Mitglieder der “Banda Resoluta” kommen teilweise aus der Region Nordsachsen und Bitterfeld. Maßgebliche Akteure haben sich jedoch in Stötteritz als Nachbarstadtteil Probstheidas gesammelt. In der 1. Märzwoche 2021 hinterließ eine Gruppe bei einem abendlichen Rundgang über die Günz-, Schönbach-, Arnold- und Thiemstraße mehrere hundert Banda- und “Lokomotive-Hooligans”-Aufkleber sowie -Schriftzüge.
Bei den Neonaziangriffen rund um das “Querdenken”-Demonstrationsgeschehen am 07.11.2020 in Leipzig beteiligten sich ebenfalls Teile der “Banda Resoluta”.
In der Sommerfelder Straße in Stötteritz wohnte bis Ende 2020 unter anderem Fabian Nebe. Er trat als Kämpfer für die Neonazipartei “Der III. Weg” an, ist eine zentrale Figur der “Banda Resoluta” und Protegé von IFT Cheftrainer Benjamin Brinsa. In unmittelbarer Nähe dazu wohnt nach wie vor Tobias Bussenius, der auch an Trainings des IFT teilnahm. Ebenfalls in der Sommerfelder Straße wohnhaft waren Philip Mokry, dessen Onkel das Sicherheitsunternhemen Löwen-Security betreibt. Sein Vater ist Polizist. Auch wenn einige Stötteritzer Mitglieder der “Banda” unlängst in das Umland verzogen sind, bleiben sie aktiver Teil einer neonazistischen Hooliganszene, die unsere Gesellschaft bedroht und bereit ist, den Faschismus mit brutaler Gewalt durchzusetzen.
4. Handlungsmöglichkeiten
Rechtsextreme Propaganda nicht einfach hinzunehmen, bedeutet wichtiges zivilgesellschaftliches Handeln. Zivilcourage ist in vielen Fällen nicht leicht, denn Wegschauen ist immer einfacher als sich einzumischen. Was kann man im zivilgesellschaftlichen Rahmen tun?
Im Folgenden einige Vorschläge, um rechten Parolen, Aufklebern oder Schmierereien etwas entgegenzusetzen.
Dokumentieren
Eine Dokumentation mit Foto, Ort und Datum kann ein erster Schritt sein. Das Ereignis kann anschließend beispielsweise bei dem Dokumentationsprojekt “chronik.LE” gemeldet werden: https://www.chronikle.org/ereignismelden
Anzeigen
Bei verbotenen rechtsextremen Symbolen kann eine Anzeige bei der Polizei infrage kommen. Dadurch wird der Vorfall in die Polizeistatistik aufgenommen.
Ordnungsbehörden informieren
Bei beschmierten oder beklebten Schildern kann das Leipziger Ordnungsamt informiert werden:
https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/sicherheit-und-ordnung/ordnungstelefon/
Entfernen
Aufkleber können beispielsweise mit Spachtel, Schraubenzieher oder Ceranfeld-Kratzer abgekratzt werden. Viele Schmierereien können schon mit Alkohol entfernt werden, welcher in Desinfektionsmittel oder Deo enthalten ist. Oft hilft auch Nagellackentferner. Achtung: Teilweise wurden Aufkleber schon mit Rasierklingen präperiert, die beim Entfernen verletzen sollen.
Überkleben
Aufkleber können oft so überklebt werden, dass der ursprüngliche Untergrund nicht beschädigt wird. Fertige Aufkleber können bei Kampagnen wie “Aufstehen gegen Rassismus” [8] oder “Gesicht zeigen” [9] bezogen werden. Auch selbst gestaltete Aufkleber oder Plakate mit deutlicher Botschaft sind eine Möglichkeit.
Organisieren
Aufgefallene Ereignisse können in der in der Familie, Freundeskreis oder Nachbarschaft angesprochen und problematisiert werden. Sie sollten keinesfalls ignoriert werden. Schließt euch mit anderen Antifaschist*innen zusammen und gründet Gruppen oder Initiativen. Betroffene Menschen können unterstützt werden, indem ihnen das Gefühl gegeben wird, nicht alleine zu sein.
[1] Rechte Graffiti – Krieg an der Hauswand
[2] chronik.LE – Dokumentation faschistischer, rassistischer und diskriminierender Ereignisse in und um Leipzig
[3] https://www.belltower.news/lexikon/der-dritte-weg/
[4] https://www.plauen.de/media/dokumente/rathaus/wahlen/stadtratswahl_2019_bek_ergebnis.pdf
[5] https://www.mdr.de/sachsen/politik/wahlen/kommunalwahlen/kommunalwahlen-sachsen-ergebnisse-100.html?wk=wbr13
[6] https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2019.pdf
[7] https://www.mdr.de/thueringen/ost-thueringen/gera/jungsturm-prozess-urteil-100.html
[8] https://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/material/flyer-etc/
[9] https://www.gesichtzeigen.de/bestellung/